Als ich als junge Designerin in Ausbildung den Wunsch äußerte, die Welt ein wenig besser machen zu wollen, stieß ich immer mal wieder auf Skepsis. Was sollte ich als Designerin denn besser machen? Wie sollte ich denn mit meinen Fähigkeiten jemandem helfen? Ich kann ja niemandem das Leben retten oder juristisch vertreten. Was kann ich als Designerin denn schon verändern?
Ich spürte damals schon, dass das nicht stimmt – nur fehlten mir die guten Argumente. Vor kurzem habe ich Luisa Neubauers Buch „Was wäre, wenn wir mutig sind“ gelesen. Im ersten Teil spricht sie darüber, dass wir seit Jahrzehnten wissen, worauf wir uns zubewegen: Das Wissen und die Fakten rund um die Klimakrise sind nicht neu. Die Fakten werden immer mehr und immer denkt man, jetzt müssten es doch alle begriffen haben. Und doch passiert wenig. Denn das Thema ist schlecht zu fühlen. Und dann sagt sie das hier:
„Was mindestens genauso viel wiegt wie Zahlen, sind Gefühle, Geschichten und Bilder.“
Und genau das ist es, was wir machen: Design wirkt weit über Ästhetik hinaus. Gerade wir Kommunikationsdesigner:innen wissen das. Design formt unsere Wahrnehmung, unsere Handlungen und letztlich unsere Zukunft. Wir sind mitverantwortlich, wenn immer mehr Autos verkauft werden, weil wir ein tolles Lebensgefühl im Design des Wagens oder auch der Werbung dafür eingebaut haben. Wir sind mitverantwortlich, wenn der Wunsch nach neuem Konsum, weiten Reisen und Erlebnissen in uns geweckt wird. Denn wir haben die Plakate gemacht. Wir haben den Kaufprozess verbessert.
Und gerade, wenn die Welt sich in multiplen Krisen befindet, wird klar, wie wichtig und welche verantwortungsvolle Rolle wir haben. Je stärker wir uns unserer Macht und der Kraft bewusst sind, desto mehr können wir Verantwortung übernehmen. Aber wie können wir unsere Rolle als Gestalter:innen ernst und aktiv Einfluss nehmen auf Produkte und Dienstleistungen, auf Gesellschaft und Umwelt?
Blick auf Zielgruppen erweitern: Menschen und Natur
In der „Leere Stuhl“-Methode aus der Psychotherapie denkt man sich in eine andere Person hinein, um Konflikte zu lösen. Das machen wir als Kommunikationsdesigner:innen auch immer: Wir denken uns in die gewünschte Zielgruppe hinein, damit die Kommunikation bestmöglich verstanden wird. Was wäre aber, wenn wir nicht nur einen Stuhl hätten, sondern eine ganze Bank? Wenn wir explizit Menschen mit anderen Lebenserfahrungen und -realitäten, anderen kulturellen Erfahrungen dort Platz geben würden? Auch der Natur können wir dort einen Platz geben: Ein Eichhörnchen im Park oder eine Biene, die immer weniger Ernte vorfindet. Vor kurzem hatte die Süddeutsche Zeitung gefragt: Was wäre, wenn Flüsse eine juristische Vertretung hätten? Dann würden sie uns verklagen, weil sie verschmutzt wurden, umgeleitet – zerstört. „Nicht-menschliche“ Stakeholder haben eine Stimme verdient, wenn wir gestalten. Und die Zukunft unserer Kinder auch.
So entsteht ein ganzheitliches Verständnis: Indem wir Perspektiven erweitern, erkennen wir Bedürfnisse, die uns zuvor verborgen blieben. Und nur wer zuhört, kann Produkte, Prozesse und Kommunikationsmaßnahmen entwickeln, die wirklich allen zugutekommen.
Design als Risikomanagement und Zukunftsstrategie
Verantwortliches Handeln ist kein Altruismus-Bonus, sondern kluges Risikomanagement. Unternehmen, die Barrierefreiheit, Diversität und Nachhaltigkeit vernachlässigen, laufen Gefahr, Zielgruppen und Mitarbeitende zu verlieren. Bereits heute gelten 9,3 % der Menschen in Deutschland (Link abgerufen am 09. Mai 2025) als schwerbehindert – Tendenz steigend. Und da gehören Legasthenie oder auch eine Rot-Grün-Sehschwäche noch nicht mal dazu (beides Dinge, die wir im Design bedenken können)! Wer seine Angebote barrierefrei gestaltet, erreicht also automatisch eine größere Kundschaft.
Umfragen zeigen auch, dass 76 % der Beschäftigten klimafreundliche Arbeitgeber bevorzugen (Link Abgerufen am 9. Mai 2025) . Also ist es doch viel nachhaltiger, ein Unternehmen mit diesen Aspekten von Anfang an klimabedacht und fairer aufzubauen, als eine Recruiting Agentur zu beauftragen.
Nachhaltige Marken wie Wombly , die adaptive Kleidung für Frühgeborene entwickeln, beweisen, dass verantwortungsvolles Design nicht nur Problemlösungen schafft, sondern auch wirtschaftlich tragfähig ist.
Das dicke Brett: Verantwortung

Verantwortung wirkt wie ein dickes Brett – unübersichtlich und schwer zu greifen. Wir sollten dieses Brett in kleine Schichten unterteilen:
- Mit wem arbeite ich?
Wen unterstütze ich mit meinem Wissen? Welche Werte verkörpere ich aktiv in meinen Projekten? Aber auch wer ist in meinem Team und wie behandele ich meine Mitarbeitende? Wie gehe ich bei Krankheiten mit den Menschen um? Stelle ich eine junge Mutter ein und kann ich ihr ein flexibles Arbeiten ermöglichen? - Wie arbeite ich?
Welche fachlichen und methodischen Tools nutze ich, um barrierefreie, daten- und ressourcenschonende Lösungen zu schaffen? Stelle ich die richtigen Fragen und mache ich auf Barrieren aufmerksam, die nicht alle sehen? - Wie sind die Rahmenbedingungen in unserer Branche?
Engagiere ich mich in Verbänden und Gremien, z.B. um faire Wettbewerbs- und Bewertungskriterien (www.studiedesignjurys.designtag.org) durchzusetzen? Setze ich mich für faire Regeln für Pitches ein? Wir brauchen euch!
Durch das sukzessive Abarbeiten dieser Schichten – einzeln, gemeinsam oder parallel – können Designer:innen nach und nach ihre Praxis verbessern und messbaren Impact erzielen. Wenn ich mir nicht aussuchen kann mit wem ich arbeite – dann kann ich an anderen Schichten mitarbeiten. Und helfen, dass die Dinge Schritt für Schritt besser werden.
Done is better than perfcet
Verantwortung erzeugt Druck. Doch Perfektion ist nicht oberste Priorität: „Done is better than perfcet.“ darf das Motto sein. Mit Schreibfehler versteht sich. Indem wir in kleinen Iterationen arbeiten – ganz im Geist des Design Thinking – können wir schnell Erfahrungen sammeln, lernen und nachjustieren. Jedes Pilotprojekt, jede Optimierung von Formularen oder Websites ist ein Gewinn für alle Beteiligten.
Design ist ein großer Hebel, den wir mit Verantwortung nutzen müssen.
Lasst uns gemeinsam Bilder und Geschichten schaffen, die es leichter machen, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Ob in Unternehmen, Behörden oder als freiberufliche Designer:innen – beginnen wir jetzt, unsere Zukunft aktiv und menschlich zu gestalten.
„Wir können nicht nicht verantwortlich sein.“
– Paul Watzlawick, frei weitergedacht von Miriam Horn-Klimmek
Mehr Perspektiven und Impulse finden Sie auf dem BDG-Blog: perspektiven.bdg.de
Dieser Beitrag ist Teil der Keynote, die Miriam Horn-Klimmek am 15.5.2925 beim UNBLOCK DESIGN Fachtag für verantwortungsvolles Gestalten bei kreHtiv, der Wirtschaftsförderung der Stadt Hannover gehalten hat. Anfragen für den Vortrag: info@bdg.de
Miriam Horn-Klimmek ist Inhaberin der Agentur Formlos Berlin und Referentin für Verantwortung im Design beim BDG. Folgen: Miriam Horn-Klimmek auf Mastodon (@miriamhk@mastodon.social) und Bluesky (@miriamhk.bsky.social).
0 Kommentare zu diesem Beitrag vorhanden