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13. Februar 2024

User Experience Design: Ein Wegweiser für Gestaltende aller Disziplinen

Produkte und Dienstleistungen sind die heimlichen Dirigenten unseres Alltags. Wie unsichtbare Hände lenken sie unseren Tagesablauf, erleichtern oder erschweren unsere Vorhaben. In dieser Welt, in der das Nützliche oft im Verborgenen wirkt, ist das User Experience (UX) Design die Kunst, Nutzerbedürfnisse in den Mittelpunkt zu rücken. Es ist ein Prozess, der die Probleme der Nutzenden erkennt und versteht.

Nehmen wir das Beispiel eines Bankinstituts, das bestrebt ist, eine Brücke zwischen seinen Angestellten und den Sparwilligen zu bauen. Die Mitarbeitenden der Bank, ausgestattet mit einem tiefen Verständnis für die finanziellen Ziele ihrer Kunden und Kundinnen, nutzen die Methoden des UX-Designs, um diese Ziele nicht nur greifbar, sondern auch erreichbar zu machen. Für Menschen, die sparen wollen, wird die Bank zu einem Partner und Möglichmacher. Beide Seiten sehen nicht nur Zahlen und Diagramme, sondern einen persönlichen Fahrplan zu den finanziellen Zielen. 

Stellen wir uns vor, eine Kundin möchte ein Tagesgeldkonto eröffnen oder einen ETF-Sparplan einrichten, der nicht nur ihren finanziellen, sondern auch nachhaltigen Wünschen entspricht. Sie gelangt in die digitale Welt der Bank durch ihre Banking-App und wird dort von einem freundlichen Avatar begrüßt, der sie nicht mit komplexen Formularen oder undurchsichtigen Prozessen konfrontiert, sondern Schritt für Schritt durch einen Informations- und Entscheidungsprozess führt. Dieses virtuelle Assistenzsystem, nennen wir es BudgetBuddy, basiert auf einem Conversational Interface; es fragt nach Präferenzen, erklärt unverständliche Finanzbegriffe und hilft, Produkte zu finden, die zu den Bedürfnissen passen. Es versteht nicht nur finanzielle Ziele, sondern nimmt auch Rücksicht auf ethische Überzeugungen. BudgetBuddy filtert unpassende Optionen heraus und macht Vorschläge, die sowohl renditestark als auch umweltbewusst sind.

In diesem Beispiel transformiert gelungenes User Experience Design die Interaktion mit der Bank von einer trockenen Beratung zu einer bereichernden Erfahrung, die sowohl finanzielle als auch persönliche Interessen berücksichtigt.

UX-Design wird so zu einem kraftvollen Medium, das nicht nur Oberflächen formt, sondern Beziehungen stiftet, Vertrauen aufbaut und Wege eröffnet. Es geht darum, das Digitale menschlich zu gestalten und das Menschliche digital zu verstärken – eine Qualität, die den Kern vom UX-Design ausmacht.

Das Herzstück des UX-Designs ist Empathie – das Eintauchen in die Welt der Nutzenden, das Miterleben ihrer Handlungen und Emotionen.

Diese Fähigkeit ist das Fundament, auf dem Entscheidungen und Entwicklungen aufbauen. Sie ist es, die Markenidentitäten stärkt und eine kundenorientierte Kultur in Organisationen verankert. Ein Missverständnis liegt jedoch darin, UX-Design auf eine Disziplin zu reduzieren, die vor allem verkaufsfördernd wirkt. Es geht um weit mehr: Es geht darum, echte Probleme zu lösen und Nutzerbedürfnisse wirklich zu verstehen, um unternehmerische und sogar gesellschaftliche Ziele zu verwirklichen.

Eine Zeitreise der User Experience

Die Anfänge des nutzerorientierten Designs reichen weit zurück, bis zu den Studien von Frederick Winslow Taylor über die Interaktion zwischen Arbeitern und Werkzeugen, in der frühen Phase der Industrialisierung. Taylor beobachtete die Arbeiter und ihre Werkzeuge, nicht in der Absicht, ein ansprechendes Design zu schaffen, sondern um Effizienz und Produktivität zu steigern. Doch in diesen Beobachtungen schlummerte der Keim für eine Revolution: die Erkenntnis, dass das Werkzeug dem Arbeiter nicht nur dienen, sondern auch auf ihn angepasst sein sollte. Taylors Forschungen zeigten, dass Arbeiter bessere Ergebnisse lieferten, wo das Umfeld, in dem sie ihre Tätigkeiten verrichteten, sicher und bedarfsgerecht gestaltet war. 

Doch erst mit der digitalen Revolution begann das wahre Zeitalter des User Experience Designs. In den 1990er Jahren, als Computer nicht mehr bloß große, lärmende Maschinen in klimatisierten Räumen waren, sondern zu persönlichen Begleitern wurden, erkannte Donald Norman, dass Technologie nicht nur funktionieren, sondern auch Nutzende verstehen muss. Gemeinsam mit Jakob Nielsen formulierte er Prinzipien, die bis heute die Säulen des UX-Designs darstellen. Diese Grundprinzipien, wie die Nutzerzentrierung und die Notwendigkeit der Intuitivität, bildeten ein festes Fundament, auf dem die Disziplin des UX-Designs errichtet wurde. 

Zwei Schritte vor, ein Blick zurück

Von den rauchigen Fabrikhallen der Industrialisierung bis zu den glatt-glänzenden Touchscreens unserer Smartphones hat User Experience Design eine lange Reise unternommen, in dessen Verlauf sich eine reichhaltige Methodenbank entwickeln konnte, ein Werkzeugkoffer, der jeder Gestalterin und jedem Gestalter nicht nur Werkzeuge, sondern auch Inspirationen bietet. Diese verbinden sich gut mit den Design-Idealen des 20. Jahrhunderts und bereichern diese mit den Dimensionen der Nutzbarkeit, des Wohlbefindens, der Achtsamkeit und der Produktivität. Abschließend für unsere kleine UX-Zeitreise lässt sich zusammenfassend sagen: User Experience ist eine entwickelte Praxis, die nicht nur gestaltet, sondern auch versteht, interpretiert und mit Empathie antwortet.

Ein Mosaik der (interdisziplinären) Zusammenarbeit

In der Welt des UX-Designs ist kein Erfolg zufällig. Er ist das Ergebnis einer bewussten Strategie, in der unterschiedliche Disziplinen Hand in Hand gehen. Jedes Teammitglied trägt mit seinen Fähigkeiten und Perspektiven zum Gesamtbild bei – wie die Steine eines Mosaiks, die zusammen ein harmonisches Ganzes ergeben. UX erleichtert (neudeutsch: facilitiert) diesen gemeinsamen Gestaltungsvorgang und schafft durch z.B. Prototyping und User-Testing die Grundlage für ein optimales „Problem-Solution-Fit“.

Betrachten wir mal ein junges Unternehmen, das sich der Entwicklung einer Gesundheits-App verschrieben hat. Hier arbeiten Psychologie, User-Interface-Design, Software-Entwicklung und medizinische Fachleute eng zusammen, um eine App zu schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch intuitiv und empathisch ist. In regelmäßigen Treffen kommen die Teammitglieder zusammen, um ihre Fortschritte zu teilen und zu reflektieren. Jeder Blickwinkel, jede Fachkenntnis fügt dem Projekt eine neue Dimension hinzu. Die Psychologin weist auf die Bedeutung von Farbschemata für die Stimmung hin, die Interface Designer und Designerinnen betonen die Wichtigkeit einer klaren Hierarchie in der Navigation, die Kollegen und Kolleginnen aus der Software-Entwicklung diskutieren die Leistungsfähigkeit der App auf verschiedenen Geräten, und die medizinische Fachstelle stellt sicher, dass jeder Rat, den die App gibt, fundiert und verlässlich ist.

Das Ergebnis ist eine App, die mehr ist als die Summe ihrer Teile – eine App, die versteht, berührt und unterstützt. Sie ist nicht nur ein Produkt ausgefeilter Technologie, sondern auch der Menschlichkeit. Das Mosaik der Zusammenarbeit im UX-Design ist daher nicht nur ein Bild der Vielfalt, sondern auch ein Spiegelbild der gemeinsamen Vision.

Auf der Landkarte der Design-Disziplinen

Auf der Landkarte der Design-Disziplinen ist UX-Design ein dynamischer Vektor. Es schafft Wege, die sich kreuzen und verbindet Systeme.

In diesem vielschichtigen Terrain sind die Grenzen fließend und Übergänge nahtlos. Die Prinzipien des industriellen Designs, die Klarheit der visuellen Kommunikation, die inklusive Wirkkraft der Ergonomie und die Einsichten der kognitiven Psychologie gehen ein in das UX-Design. Diese Synergie eröffnet nicht nur neue Perspektiven, sondern schafft auch Konnektoren und Zugang für Designer und Designerinnen aus anderen Bereichen.


 
Links ein Auschschnitt aus einer Whiteboard-software, der Text „Hi.“ ist groß zu sehen. Rechts ein Porträt von Ronny Puschmann.

Gastautor: Ronny Puschmann

BDG-Kollege Ronny Puschmann studierte Grafik und Interaction Design an der HAWK Hildesheim und an der UC Madrid. Er begleitet Teams im Corporate- und Startup-Umfeld bei der Entwicklung und Umsetzung von Innovationsprojekten. In seinen Workshops entstehen dynamische Werkstatt-Situationen in denen Forscher:innen, Macher:innen und Planner:innen Produkt- und Servicelandschaften zum Leben erwecken.

Ronny war im September 2023 beim BDG-Feierabend on air zu Gast. Zum Video seines Vortrags


 
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